ECOMAT erhält neuen DLR-Teststand für Flugsteuerungen – wie das Flugzeug von morgen mit Bremer Hilfe entsteht

Die Luftfahrtindustrie steht vor einer großen Herausforderung: Emissionen reduzieren und effizienter fliegen, um die Klimaziele der EU zu erreichen. Das erfordert innovative Konzepte, die intensiv getestet werden müssen, bevor sie zugelassen werden. Ein wichtiger Baustein dafür entsteht nun im Bremer Forschungs- und Technologiezentrum ECOMAT – mit einem neuen Teststand für „Moveables“ und Flugsteuerungssysteme zur Realisierung hochgestreckter Flügel für energieeffiziente Flugzeuge.

Acht Meter lang, zwei Meter hoch und breit – mit den Maßen eines Kleinbusses wird der neue Moveables-Teststand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in den ECOMAT-Hallen nicht zu übersehen sein.

Abmessungen, die es braucht, um die Systeme der Flugsteuerung von modernen Verkehrsflugzeugen – wie etwa die Querruder – in Originalgröße auf Herz und Nieren testen zu können. „Unser Ziel ist es, realistische, schnell wechselnde Lastbedingungen simulieren zu können, wie sie im Flugbetrieb vorkommen. Und das in Echtzeit. So etwas gibt es bei kaum einem anderen Teststand, besonders, wenn man noch die hohe Flexibilität mit dazu nimmt, die wir hier realisieren wollen“, erklärt Holger Schumann, Projektleiter beim DLR-Institut für Flugsystemtechnik.

Denn der gesamte Teststand wird modular aufgebaut. Das Stahlgerüst besteht aus drei Segmenten, die je nach Bedarf zusammengestellt werden können. Zudem lassen sich sowohl die Lastaktuatoren –Stellmotoren – als auch die Steuerungshard- und -software flexibel anpassen. Dadurch können Ingenieur:innen künftig nicht nur Querruder testen, sondern beliebige „Moveables“ (z.B. Landeklappen) des gesamten Flugsteuerungssystems einschließlich der Aktuatoren und Flugsteuerungsrechner. Der Startschuss für die ersten Tests soll 2026 fallen.

Der DLR-Moveables-Teststand ist nicht nur für die eigene Forschung gedacht. „Wir wollen gemeinsam mit der Industrie testen und neue Konzepte erproben. Vielen Zulieferern fehlen umfangreiche Testmöglichkeiten. Hier sehen wir einen klaren Bedarf“, betont René Hollmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim DLR-Institut für Flugsystemtechnik im Virtual Product House und Systemingenieur im Projekt.

Neben der Prüfung einzelner Bauteile sollen künftig auch Integrationstests möglich sein – also wie gut verschiedene Systeme unterschiedlicher Produktionsunternehmen zusammenarbeiten. „Damit das gesamte System funktioniert, setzen wir leistungsfähige Computer ein, die Echtzeitsimulationen durchführen und direkt auf den Teststand übertragen können. Gerade in Kombination mit der hohen Dynamik des Teststands ist das eine echte Besonderheit und benötigt enorme Rechenleistung“, ergänzt Schumann.

Flugzeugflügel vom Flattern abhalten

Was er damit genau meint? Ein besonders anschauliches Beispiel für die Arbeit am neuen Teststand liefert der Forschungsteil des Projekts „WISDOM“ (Wing Integrated Systems Demonstration On Mechatronic Rig), das mit mehreren Millionen Euro seitens des BMWK im Rahmen des deutschen Luftfahrtforschungsprogramm LuFo 6.2  gefördert wird. Neben vier Instituten des DLR sind auch Liebherr-Aerospace Lindenberg GmbH, Diehl Aerospace GmbH, FFT Produktionssysteme GmbH und die Technische Universität Berlin daran beteiligt.

Hier kommt der neue Prüfstand gleich zum Einsatz. „Wir wollen multifunktionale Steuerflächen zur Entwicklung effizienter Tragflügel erproben und optimieren. Dazu gehört zum Beispiel ein Flatterunterdrückungssystem (für Verkehrsflugzeuge)“, so Hollmann.

Denn ein vielversprechender Weg, um Flugzeuge effizienter fliegen zu lassen, ist es, die Flügel hochgestreckt (d.h. länger und schlanker) auszulegen. Dies verringert den Luftwiderstand und erhöht somit die Effizienz und verringert den Kraftstoffverbrauch / die Emissionen. Doch dieser Fortschritt hat seinen Preis: Schlankere Flügel sind unter anderem deutlich flexibler, verlieren an Steifigkeit und werden dadurch anfälliger für das sogenannte „Flattern“. Dabei verstärken sich durch aerodynamische Kräfte ausgelöste Schwingungen, die zu Schäden am Flügel führen können.

Während dies bei Verkehrsflugzeugen unter normalen Bedingungen nicht auftritt, reicht dieses passive Design für die ultraschlanken Flügel der Zukunft bei Extremsituationen nicht mehr aus. Hierfür sind aktive Systeme erforderlich, die Schwingungen in Echtzeit ausgleichen. Die Lösung: Steuerflächen wie Querruder, die mit integrierten Flatterunterdrückungssystemen ausgestattet sind.

„Diese Ruder müssen sich extrem schnell bewegen – mit mehreren Bewegungen pro Sekunde. Bisherige Teststände können Kräfte nicht in dieser Geschwindigkeit auf Bauteile ausüben. Genau deshalb ist der neue DLR-Moveables-Teststand in Bremen mit seiner hohen Dynamik so entscheidend“, betont Holger Schumann.

Im Herzen der Luftfahrtindustrie – ECOMAT und DLR Virtual Product House

Auch die Wahl des Standorts für den neuen Teststand im ECOMAT ist kein Zufall. „Wir profitieren hier gleich mehrfach von der optimalen Lage. Einerseits befinden wir uns mitten in der Bremer Airport-Stadt, in direkter Nähe zu Airbus und weiteren Herstellern und Zulieferern der Branche – genau jenen Partnern, mit denen wir in unseren Teststand kooperieren wollen. Andererseits haben wir im ECOMAT Zugang zu einzigartigen Kompetenzen innerhalb des Netzwerks der deutschen Luft- und Raumfahrtforschung“, fasst René Hollmann zusammen.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt betreibt im ECOMAT mit dem Virtual Product House (VPH) ein Integrationszentrum und Forschungsplateau, in dem Expertinnen und Experten aus verschiedenen DLR-Instituten interdisziplinär und gemeinsam mit Partnern zusammenarbeiten. Das VPH-Plateau fördert so den (direkten) Technologie- und Wissenstransfer und die effiziente gemeinsame Entwicklung neuer Flugzeugkomponenten.

Im VPH arbeiten das DLR mit seinen Partnern aus Industrie und Wissenschaft sowie den Zulassungsbehörden wie der EASA gemeinsam an der virtuellen Entwicklung, Zulassung und Integration innovativer und umweltfreundlicher Flugzeugkomponenten und Technologien (z. B. Flügel/Moveables oder Wasserstofftanks). Ein Ziel hierbei ist ein so genannter „virtueller Zwilling“, also ein (vollständig funktionsfähiges,) digitales Abbild realer Flugzeugkomponenten, inkl. virtueller Tests. Durch Vorabsimulationen können die Tests gezielter durchgeführt werden; so können Unternehmen schneller und kostengünstiger neue Flugzeugteile entwickeln und in den Markt bringen.

„Von diesem Wissen und der Zusammenarbeit im VPH profitieren wir natürlich auch bei unserem neuen Moveables-Teststand, gerade im Bereich der Simulation und Flugsteuerungssysteme“, so Hollmann. Bis Ende 2026 sollen die ersten Testergebnisse des Prüfstands für die Entwicklung der neuartigen multifunktionalen Steuerflächen vorliegen – und damit ein kleiner Schritt zum (Flügel und) Flugzeug von morgen gemacht sein.

Publikationen:

H. Schumann, S. Lübbe, T. Klimmek, D. Quero Martin - Prüfstand für multifunktionale Flugsteuerungssysteme zur Lastminderung und Flatterunterdrückung bei Verkehrsflugzeugen, Deutscher Luft- und Raumfahrtkongress 2023, https://doi.org/10.25967/610255

(Bild des gestreckten Flügels aus:) Sebastian Wöhler, Jannik Häßy, Vivian Kriewall, - ESTABLISHING THE DLR-F25 AS A RESEARCH BASELINE AIRCRAFT FOR THE SHORT-MEDIUM RANGE MARKET IN 2035

 

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