Das neue ECOMAT CRYOLAB: Arbeiten „am Nullpunkt“

Kurzfilm über das CRYOLAB bei Youtube (auf das Bild klicken)

Das neue CRYOLAB im Forschungs- und Technologiezentrum ECOMAT ermöglicht die Untersuchung von Materialien für den Flugzeugbau und die Raumfahrt bei extrem tiefen („kryogenen“) Temperaturen. Ingenieurinnen und Ingenieure und Wissenschaftler:innen wollen hier neue Erkenntnisse über Materialeigenschaften gewinnen und zum Beispiel erfahren, wie Schäden bei Metallen und Faserverbundwerkstoffen entstehen und sich ausbreiten. Ziel ist es, das Verhalten bestehender Werkstoffe besser zu verstehen und mit diesen Erkenntnissen Innovationen zu ermöglichen.

Wenn das Flugzeug der Zukunft mit Wasserstoff fliegt, muss dieser tiefkalt in flüssiger Form bei circa -260 °C gespeichert werden. Anderenfalls würden Tanks zu groß und zu schwer werden. Tiefe Temperaturen erfordern allerdings eine hervorragende Isolierung. Zudem muss sichergestellt werden, dass bei den unvermeidbaren Temperaturschwankungen und dem wechselnden Innendruck je nach Flughöhe keine Mikrorisse im Werkstoff entstehen, durch die der Wasserstoff entweichen kann und welche die mechanische Integrität des Tanks beeinträchtigen.

Eine komplexe Aufgabe, welche die heute verfügbaren Leichtbau-Werkstoffe noch nicht erfüllen. Sie ruft daher Werkstoffspezialisten und -spezialistinnen auf den Plan, wie Dr. Ernö Németh vom Faserinstitut Bremen (FIBRE). „Das Bremer CRYOLAB ist entscheidend an der Entwicklung von Wasserstofftanks in zukünftigen Flugzeugen beteiligt. Mit unseren neuen Prüfanlagen können wir Materialien bei bis zu vier Kelvin, also minus 269 Grad Celsius, testen und damit zur Sicherheit und Effizienz in der wasserstoffbetriebenen Luftfahrt beitragen", sagt der Laborleiter.

Das neue CRYOLAB ist eine gemeinsame Einrichtung von AIRBUS und dem FIBRE im ECOMAT und wurde im Sommer 2024 in Betrieb genommen. Die Werkstofffachleute am ECOMAT kooperieren dabei eng mit Spezialistinnen und Spezialisten aus der Bremer Raumfahrtindustrie, die in ihren Raketen bereits Wasserstoff als Treibstoff verwenden.

Das rund 60 Quadratmeter große Labor verfügt über verschiedene Messeinrichtungen für Metalle und Faserverbundwerkstoffe, die kryogene Temperaturen mittels Flüssigstickstoff und -helium erreichen können:

  1. Einrichtung zur Messung des thermischen Ausdehnungskoeffizienten (Coefficient of Thermal Expansion, CTE)

Durch die extremen Temperaturen und Temperaturunterschiede von Bauteilen bei Kontakt mit kryogenem Flüssigwasserstoff im Wasserstofftanksystem dehnen sich Werkstoffe aus und ziehen sich zusammen. Die Folge sind hohe Spannungen im Inneren von Bauteilen und die Gefahr von Rissen oder Verformungen.

Der besonders im Flugzeugbau häufig eingesetzte Werkstoff carbonfaserverstärkter Kunststoff (CFK) ist dafür anfällig, da er selbst wiederum aus zwei verschiedenen Materialien mit stark unterschiedlichem Wärmeausdehnungsverhalten besteht. Ähnliches gilt für Klebungen oder Nietverbindungen in Luftfahrzeugen.

Flugzeug-Konstrukteur:innen müssen dieses Verhalten kennen und berücksichtigen bei der Wahl und Gestaltung der Werkstoffe sowie der Konstruktion von Bauteilen. Daher ist der thermische Ausdehnungskoeffizient CTE eine wichtige Kenngröße von Materialien.

Um den CTE zu messen, verfügt das neue ECOMAT CRYOLAB über eine Einrichtung des Bremer Faserinstituts, die den CTE an temperierten Werkstoffproben über den gesamten Temperaturbereich zwischen -269°C und +200 °C präzise messen kann.

  1. Statische Zugprüfmaschine in Flüssigstickstoff (LN2)

Eine weitere neue Einrichtung am ECOMAT ist die kryogene Zug-Druck-Maschine. Sie misst das Verhalten von Werkstoffen unter extremen Bedingungen, und zwar sowohl unter Zug-, Druck-, Biege- als auch Scherkräften. „Wir können so ein umfassendes Verständnis der mechanischen Eigenschaften erhalten“, so Dr. Németh. Die Maschine bestimmt dazu das Elastizitätsmodul, ein Maß für die Steifigkeit des Werkstoffes, sowie die Grenzen der Dehnbarkeit, die Bruchdehnung.

Die rund drei Meter hohe Maschine im CRYOLAB verfügt über eine Kryokammer, in der Flüssigstickstoff bei -196 °C die Materialprobe herunterkühlt. Ein Kühlsystem hält das zu prüfende Material während des gesamten Messvorgangs auf der gewünschten Temperatur, während ein Datenerfassungssystem den Zusammenhang zwischen der aufgebrachten Kraft und der daraus resultierenden Verformung der Materialprobe aufzeichnet.

  1. Dynamische Zugprüfmaschine in LN2 (ab Juli 2024)

Um die voranschreitende Schädigung von Werkstoffen bei einer zyklischen mechanischen Beanspruchung in tiefkalter Umgebung zu ermitteln („Ermüdung“), nimmt das FIBRE im CRYOLAB im Sommer 2024 eine weitere, dynamische Zugprüfmaschine in Betrieb, deren Versuche ebenfalls in Flüssigstickstoff bei -196 °C stattfinden. Fragestellungen sind hier, wie bei carbonfaserverstärkten Kunststoffen die Rissentstehung und -ausbreitung durch verbesserte oder neue Kunststoffe verzögert oder idealerweise verhindert werden können. „Unser Ziel ist es, die Lebensdauer der Werkstoffe zu erhöhen. Das wollen wir einerseits durch verbesserte Carbonfaser-Textilien erreichen, aber auch durch die Art, wie die einzelnen Carbonfaser-Schichten im Werkstoff laminiert werden“, erklärt Dr. Németh. Die Forschung sei besonders anspruchsvoll, weil der Werkstoff CFK sehr vielseitig sei und in vielen verschiedenen Konfigurationen zusammengesetzt werden kann, was zahlreiche Testdurchläufe erfordere.

  1. Dynamische Zugprüfmaschine in tiefkaltem Helium mit Permeationsmessung (ab September 2024)

Im September 2024 wird eine weitere dynamische Zugprüfmaschine im CRYOLAB in Betrieb gehen. Da diese Anlage mit einem Kryostaten und Kryokühlern für Helium ausgestattet ist, können Untersuchungen sogar bei Temperaturen bis circa -269 °C durchgeführt werden. Eine weitere Besonderheit der Anlage wird sein, dass sie um eine Messeinrichtung ergänzt wird, welche die schleichende Undichtigkeit von Werkstoffen („Permeation“) gegenüber Helium durch Mikrorisse messen kann. Diese Mikrorisse sind die Folge der mechanischen und thermischen Lasten, mit denen die Zugprüfmaschine gezielt auf den Prüfkörper wirkt. So können Belastungen simuliert werden, wie sie auch im echten Flugzeug auftreten. Aus der gemessenen Helium-Permeation kann schließlich auf die Undichtigkeit des Prüfmaterials gegenüber Wasserstoff geschlossen werden.

Gemeinsam im ECOMAT an der Zukunft der Luftfahrt arbeiten

Das neue Labor arbeitet unter anderem für die Airbus ZEROe-Initiative, die darauf abzielt, das erste wasserstoffbetriebene Flugzeug im Jahr 2035 in den kommerziellen Einsatz zu bringen. Aber auch für weitere Forschungsprojekte von anderen Industriepartnerinnen und -partnern ist das Labor offen. „Die Stärke vom ECOMAT liegt in seiner Fähigkeit, das Fachwissen und die Ressourcen seiner Partner zu integrieren und so ein zusammenhängendes und leistungsfähiges Forschungsnetzwerk zu schaffen“, sagt auch Christoph Hoffmeister vom FIBRE. „Die kurzen Wege, die gemeinsame Ausstattung und die vielen Kompetenzen beschleunigen die Entwicklungen enorm. Und die gemeinsamen Erfolge beflügeln wiederum die Zusammenarbeit. Hier ist eine Community entstanden, die mit viel Enthusiasmus kooperiert.“

Forschungseinrichtungen wie das FIBRE bringen ihre Kapazitäten und ihr theoretisches Fachwissen sowohl in die ECOMAT-Community als auch in die bremische Wissenschaftslandschaft ein.

Das FIBRE betreibt zudem eigene Testeinrichtungen auf dem Bremer Universitätscampus und hat Zugriff auf weitere Einrichtungen der Universität. Mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) plant das Faserinstitut außerdem aktuell weitere Einrichtungen in Bremen, in denen die neuen Werkstoffe auch im direkten Kontakt von kryogenem Wasserstoff charakterisiert werden können. Das ist aus Sicherheitsgründen im ECOMAT-Gebäude wegen der leichten Entzündlichkeit des Wasserstoffs nicht möglich.

Zustande kam das ECOMAT CRYOLAB durch eine Förderung des Landes Bremen und der BAB – Die Förderbank für Bremen und Bremerhaven. „Dafür ist unser Institut sehr dankbar, denn ohne diese Unterstützung des Landes Bremen und der Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation wäre diese Investition in die Zukunft des CO2-freien Fliegens nicht möglich“, sind sich Christoph Hoffmeister und Dr. Ernö Németh vom FIBRE einig.

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